Eindrücke aus dem Programm »Jugend und Parlament« von Till Köhler
„Stell dir vor, du bist 17 Jahre alt und sitzt im Plenarsaal des Bundestags, umgeben von den
historischen Wänden, die sonst Berufspolitiker:innen füllen. Im Rahmen des Programms »Jugend
und Parlament« erleben junge Menschen aus ganz Deutschland hautnah, was es bedeutet,
Bundestagsabgeordnete:r zu sein. Vom 12. bis 15. Oktober 2024 durfte ich für vier Tage in die
»Berliner Blase« eintauchen – dort, wo Meinungen aufeinanderprallen und Kompromisse die
Demokratie am Laufen halten. Gibt es etwas Spannenderes, als Politik in Echtzeit zu erleben? […]
Es war ein Mittwoch Anfang Juni 2024, als eine unscheinbare E-Mail in meinem Posteingang auftauchte.
Unwissend, was mich erwartete, öffnete ich die Nachricht und las: »Hallo Till, Helge hat die Möglichkeit erhalten, eine Person […] für das Planspiel Jugend und Parlament im Bundestag einzuladen. Wir haben dabei an dich gedacht!« Mein Herz machte einen Satz, und ich stürmte voller Begeisterung vom Schreibtisch zu meinen Eltern, um ihnen diese unglaubliche Nachricht zu überbringen. Von diesem Moment an geisterte mir ein Auszug des Liedes »Das ist Berlin« von Hildegard Knef im Kopf herum: »Du mein Berlin, Berlin, du Perle an der Spree. Wer dich erst kennt, Berlin, der sagt dir nicht Adieu. Denn deinem Zauber kann man niemals mehr entfliehʹn. Du mein Berlin, Berlin, Berlin.«
Nachdem der erste Schock abgeklungen ist, kommen die unvermeidlichen Zweifel: Bin ich wirklich gut genug für diese Aufgabe? Habe ich das nötige Können und die innere Stärke, um meinen Vorstellungen gerecht zu werden? Diese Fragen schwirren mir im Kopf herum und ich denke, dass es vielen ähnlich gehen würde, wenn sie plötzlich die Einladung nach Berlin in den Bundestag erhalten. Schließlich ist das kein alltägliches Erlebnis, sondern ein enormes Privileg, von einem gewählten Bundestagsabgeordneten auserwählt worden zu sein. Doch je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass es jetzt ernst wird — es geht nicht mehr nur um eine Gelegenheit, sondern um die realen Herausforderungen, die damit einhergehen. Die Anspannung weicht langsam einer konzentrierten Ernsthaftigkeit: Jetzt kommt es darauf an, mein Bestes zu geben. […]
Im Rahmen des Planspiels wurde Dr. Florian Heine, mein »Alter Ego«, der konservativen »Bewahrungspartei«
zugeordnet, die mit 40 Prozent der Mandate die größte Fraktion darstellt, jedoch in der Opposition ist. In dieser Rolle war es meine Aufgabe, die Gesetzesvorhaben der Regierungskoalition, bestehend aus der »Partei für Gerechtigkeit« und der »Partei für Engagement und Verantwortung«, kritisch zu hinterfragen und alternative Vorschläge zu unterbreiten. Die Zuweisung in den Lebenslauf von Dr. Heine half mir, die Interessen und politischen Ziele meiner Partei besser zu verstehen. Als Historiker, der seine Magisterarbeit zur Entwicklung der BP im Zweiten Weltkrieg verfasste und aus konservativer Sichtweise nie einem klassischen Beruf nachging, war ich im Wirtschaftsausschuss eine Fehlbesetzung.
Politik hautnah: Eindrücke und Erlebnisse aus dem parlamentarischen Alltag
Besonders spannend waren die Debatten über die vier fiktiven Gesetzesentwürfe, die wir im
Gesetzgebungsverfahren diskutierten:
»Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, mit dem der Bundesminister/
die Bundesministerin die Beteiligung von Kapitalgebern/Investoren mit mehr als 25,1% an deutschen
Unternehmen unter bestimmten Gesichtspunkten untersagen kann.« (vgl. Drucksache JuP-24/02)
»Der Bundesrat hat einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Klarnamenpflicht in digitalen Medien
eingebracht. Er soll dafür sorgen, dass man nur nach vorheriger Registrierung mit Namen und Kontaktdaten
und unter Nennung des eigenen Namens auf Online-Plattformen aller Art aktiv sein kann.« (vgl. Drucksache
JuP-24/03)
»Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, mit dem so- wohl private
Haushalte als auch öffentliche Institutionen und Firmen verpflichtet werden sollen, Solarzellen auf ihren
Dächern zu installieren. Diese Pflicht soll für Neu- und Alt- bauten gelten.« (vgl. Drucksache JuP-24/04)
»Auf Initiative des Bundesrates liegt dem Bundestag ein Gesetzentwurf vor, mit dem das Wahlrecht für
Unionsbürger/innen auf Bundesebene eingeführt werden soll. Ihre Aufgabe als Abgeordnete oder Abgeordneter ist es nun, diesen Entwurf zu beraten und darüber zu entscheiden.« (vgl. Drucksache JuP-24/05)
Ich musste mich intensiv mit den Inhalten der Gesetzesentwürfe auseinandersetzen und starke Argumente
entwickeln, um die Position meiner Partei zu vertreten. In den Ausschüssen hatten wir die Möglichkeit, die
Gesetzesentwürfe im Detail zu besprechen, Schwächen zu identifizieren und Änderungsanträge einzubringen.
Diese Verhandlungen waren lehrreich und verdeutlichten mir die Bedeutung, die Argumente anderer zu hören und gleichzeitig die eigenen Interessen durchzusetzen. Während der gesamten Simulation lernte ich, wie wichtig es ist, konstruktiv zu arbeiten und die Perspektiven anderer zu berücksichtigen, selbst wenn man in der Opposition ist. […]
Diese Erfahrung hat meine Sichtweise auf den Gesetzgebungsprozess geprägt und mir gezeigt, dass die
Opposition eine entscheidende Rolle spielt, indem sie die Regierung kontrolliert und alternative Perspektiven
einbringt. Zudem hat das Planspiel nicht nur meine politischen Kenntnisse vertieft, sondern auch meine
Fähigkeiten in Argumentation und Teamarbeit gestärkt. Diese wertvollen Erkenntnisse und Erfahrungen werde
ich in meiner weiteren politischen und persönlichen Entwicklung mitnehmen.
Rückblickend werde ich oft gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, die Politik als Beruf zu wählen. Ganz ehrlich – momentan kann ich das nur verneinen. Die politischen Aufgaben, die mir wichtig sind, erfordern nicht nur ein hohes Maß an Energie, sondern auch eine immense Menge an Zeit, die mich oft an meine Grenzen bringt. Jede Entscheidung, jedes Gespräch verlangt ein starkes Durchhaltevermögen und eine gewisse emotionale Distanz, die mir nicht immer leichtfällt. Es ist spannend und herausfordernd, aber eben auch fordernd. Wenn ich darüber nachdenke, wie ich meine Zeit langfristig einsetzen möchte, sehe ich viele andere Bereiche, in denen ich meine Fähigkeiten ebenso gewinnbringend und erfüllend einsetzen könnte – vielleicht sogar mehr im Einklang mit meinen persönlichen Vorstellungen und Zielen.“
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