Persönliche Erklärung nach §31 GO BT zur Beratung des Antrags der Fraktionen SPD,
CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP „Antisemitismus und Israelfeindlichkeit
an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien
Diskursraum sichern“ (Drucksache 20/14703):
Wir begrüßen ausdrücklich das Ziel des vorliegenden Antrags, Maßnahmen zu ergreifen,
damit jüdische Menschen in Schulen und Hochschulen sicher sind und sich sicher fühlen.
Wir treten antisemitischer Diskriminierung und Gewalt an Schulen und Hochschulen
entschieden entgegen, das halten wir für richtig und unbedingt notwendig.
80 Jahre nach der grausamen Ermordung von sechs Millionen jüdischen Menschen durch
die Nationalsozialisten müssen wir heute als Demokratinnen und Demokraten mehr denn je
entschieden gegen Antisemitismus einstehen. Antisemitische Bedrohungen, Verfolgung,
Diskriminierung und Gewalt an Schulen und Hochschulen sind nicht hinnehmbar. Es braucht
von den demokratischen Kräften eine glasklare Kante gegen jeglichen Antisemitismus in der
Bundesrepublik – dies schließt explizit auch unsere Bildungseinrichtungen mit ein.
Wir verurteilen Antisemitismus an Schulen und Hochschulen auf das Schärfste, egal aus
welchen Bereichen unserer Gesellschaft er kommt. Klare Grenzen des kritischen Diskurses
wurden in den vergangenen Monaten an vielen Orten durch Diskriminierungen,
Beleidigungen, Bedrohungen und Gewalt klar überschritten und sind durch nichts zu
rechtfertigen. Es ist unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe, gesellschaftliche
Debattenräume zu stärken und Jüdinnen und Juden vor Antisemitismus zu schützen.
Schulen und Hochschulen als Bildungs-, Lern-, Forschungs- und Debattenräume haben hier
eine besondere Aufgabe. Schulen und Hochschulen sind es, wo eine diverse Gesellschaft,
unterschiedliche Biografien, Herkünfte und Geschichten zusammenkommen. Schulen und
Hochschulen sind es, wo kritische Debatten stattfinden und ausdiskutiert werden können.
Hochschulen sind es, wo die freie Wissenschaft Diskursräume erforschen und erweitern
kann.
Es steht außer Frage, dass Antisemitismus keinen Platz in der Wissenschaft hat. Gleichzeitig
muss Wissenschaftsfreiheit kritische wissenschaftliche Auseinandersetzungen aushalten
können, solange diese vom Rechtsstaat geschützt sind. Dies muss z.B. auch die
Auseinandersetzung mit Definitionen im Rahmen der Antisemitismusforschung umfassen
können. Maßnahmen zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit dürfen nicht dazu führen, dass in
eine wissenschaftliche Forschung zur Politik einer israelischen Regierung, zum israelischen
Staat, zur Region des Nahen Ostens oder eine theologische und religionswissenschaftliche
Auseinandersetzung mit dem Judentum und seiner Geschichte durch den vorliegenden
Antrag mit inhaltlichen und wissenschaftsfremden Gründen eingegriffen wird. Darüber hinaus
besteht aus unserer Sicht die Gefahr, dass die Sorge vor einer Prüfung der politischen
Haltung von wissenschaftlichen Antragstellerinnen zu „chilling effects“ und damit einer faktischen Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit führen kann. Schulen und Hochschulen müssen in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Debattenräumen die Vielfalt jüdischer Stimmen gesellschaftlich abbilden. Wir sehen es als Stärke einer stabilen Demokratie an, dass wir auch kritischen Perspektiven, innerjüdischen, sowie interreligiösen und interkulturellen Debatten in Deutschland ein sicheres Umfeld an Schulen und Hochschulen bieten können und müssen. Wir müssen in Bildungseinrichtungen eine friedliche, offene Kommunikation ermöglichen, in der über Antisemitismus, Rassismus, den Nahostkonflikt, Israel und die palästinensischen Gebiete respektvoll gesprochen werden kann. Umso bedeutender ist es, an Hochschulen Räume zu schaffen, die den interreligiösen und interkulturellen Dialog in den Vordergrund stellen, um Vorurteile, Ressentiments und Traumata nachhaltig abzubauen und vorzubeugen. An deutschen Schulen und Hochschulen muss auch zukünftig ein Diskurs in Bezug auf den Nahostkonflikt möglich sein, der das Leid von Palästinenserinnen und Israelinnen anerkennt. Zur Stärkung einer offenen Debatten- und Dialogkultur an Schulen und Hochschulen muss mehr Wissensvermittlung und ein gestärktes Bewusstsein für jüdisches Leben, jüdische Kultur und Israel gehören. Genauso braucht es für diese eine größere Sensibilisierung über den regionalen Kontext, die Geschichte der Menschen in der gesamten Region des Nahen Ostens, einschließlich der Perspektive von Palästinenserinnen und Palästinensern. Hier greift der Antrag aus unserer Sicht jedoch zu kurz und blendet regionale Perspektiven und unterschiedliche persönliche Betroffenheiten aus. Andernfalls droht der Antrag dem Ziel, größeres Verständnis, Empathie, Akzeptanz zu erreichen, entgegenzulaufen und stattdessen vorhandene Ressentiments weiter zu verschärfen. Die Hochschulrektorenkonferenz sowie etliche Wissenschaftlerinnen, Kulturschaffende,
Verfassungsrechtler*innen und Studierende haben in den letzten Monaten massive
Bedenken geäußert, ob die im Antrag formulierte Überprüfung von Fördermitteln sowie die
genannten Maßnahmen zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit an Schulen und Hochschulen
vor dem Grundgesetz standhalten können.
Aufgrund der dargelegten Argumente dieser persönlichen Erklärung haben wir Zweifel, ob der
Antrag in der jetzigen Form nachhaltig zum Schutz vor Antisemitismus an Schulen und
Hochschulen beitragen kann.
Trotz dieser Gründe stimmen wir dem vorliegenden Antrag zu.
Tobias B. Bacherle, MdB
Deborah Düring, MdB
Michael Kellner, MdB
Helge Limburg, MdB
Dr. Anna Lührmann, MdB
Merle Spellerberg, MdB
Awet Tesfaiesus, MdB