Änderung des Strafgesetzbuches
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Müller,
es geht an dieser Stelle nicht um Klassenkampf, sondern es geht um nichts weniger als um Gerechtigkeit. Artikel 3 Grundgesetz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ – Das meint natürlich – Sie haben es ja selber angesprochen: Alle Menschen müssen auch vor Gericht gleich sein, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht, aber natürlich auch unabhängig von Einkommen oder Vermögen.
Und – da würde ich Ihnen widersprechen, Herr Müller: In der Praxis ist das leider nicht immer der Fall. Natürlich ist es so, dass sich Menschen mit hohem Einkommen auch in Fällen, wo keine notwendige Verteilung vorliegt, Anwälte leisten können. Menschen ohne Einkommen können das eben nicht. Natürlich ist es so, dass, wenn Sie anwaltlich beraten sind, wenn Sie einen Fachanwalt an Ihrer Seite haben, die Wahrscheinlichkeit, die Chance, dass Sie mit einer Bewährungsstrafe oder einer Geldstrafe davonkommen, ungleich höher ist, als wenn Sie sich als juristischer Laie alleine verteidigen und sich in den Fängen der Strafprozessordnung verstricken können. Wenn keine notwendige Verteidigung vorliegt, können Menschen letztlich inhaftiert werden, ohne dass ihnen in einem Verfahren jemals ein Verteidiger zur Seite stand, und das, Herr Kollege Müller, ist in der Tat ungerecht.
Hinzu kommen, auch wenn Sie das hier bestreiten, die Fälle der Ersatzfreiheitsstrafen. In den wenigsten Fällen, in denen eine Geldstrafe droht, wird ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegen. Wenn die Geldstrafe aber nicht bezahlt werden kann – es gibt eben Fälle, wo sie nicht bezahlt werden kann; die Kollegin Martens hat gerade einen Fall ausgeführt, und es gibt weitere Fälle aus der Rechtsprechung -, dann kann es auch hier zu einer Inhaftierung kommen, ohne dass ein Verteidiger dem Betroffenen jemals beigestanden hat. Das darf so nicht bleiben! Der Regelfall muss doch sein – den sieht im Übrigen auch die EU-Richtlinie vor, die Sie angesprochen haben: Wem Haft droht, dem muss der Rechtsstaat eine ordentliche Verteidigung sichern, und wo kein Einkommen vorliegt, muss eben eine Pflichtverteidigung gesichert werden.
Insofern begrüßen wir, zumindest vom Grundgedanken her, den Vorschlag der Linken an dieser Stelle. Wir haben uns als Fortschrittskoalition im Koalitionsvertrag eine Stärkung und Ausweitung der Verteidigung vorgenommen, und das ist, wie gesagt, dringend notwendig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Satz zum Thema „Fahren ohne Fahrschein“. In der Tat, wenn Sie das mit anderen Deliktgruppen vergleichen, wo es auch zu Haftstrafen kommt, dann sehen Sie hier erhebliche Unwuchten. Denn Sie können beim Fahren ohne Fahrschein – auch wenn Herr Jung da eine höhere kriminelle Energie vermutet, wenn es sich wiederholt; vielleicht liegt auch einfach ein zu geringes Einkommen vor, um Fahrscheine zu kaufen, Herr Kollege Jung; das dürfte viel häufiger der Fall sein – zu einer Haftstrafe verurteilt werden bei einer Gesamtschadenssumme von 30 Euro, 40 Euro oder 50 Euro – oder lassen Sie es wenige Hundert Euro sein. Im Steuerstrafrecht hingegen liegt die grobe Grenze für die Verhängung von tatsächlichen Haftstrafen ohne Bewährung bei 1 Million Euro. Dass hier eine Unwucht, eine Ungerechtigkeit vorliegt, ist doch offenkundig. Auch das werden wir als Fortschrittskoalition angehen.
Ich komme zum Schluss. Wir sollten uns auch die übrigen Bereiche, wo es zu Haft kommt, anschauen, etwa die sogenannte Abschiebehaft oder auch den polizeilichen Unterbindungsgewahrsam. Auch in diesen Fällen kann es zu teilweise langer Haft kommen, ohne dass irgendwann im Verfahren ein Pflichtverteidiger beigeordnet wird.
Auch das müssen wir angehen. Hier sind in Teilen auch die Länder gefordert.
Der Grundsatz muss sein: In diesem Land darf niemand inhaftiert werden ohne anwaltlichen Beistand.
Vielen Dank.
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Hier könnt ihr die Rede nochmal nachhören:
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